2. Mai 1933: Sturm auf die Gewerkschaftshäuser

02. Mai 2021  BLOG

Von Ulrike Eifler

Als Hitler am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt wird, reagiert die Arbeiterbewegung mit spontanen Protesten gegen die drohende Nazidiktatur. In Berlin kommt es zu einer Großdemonstration mit mindestens 200.000 Menschen, in Chemnitz, Duisburg, Kaiserslautern, in Oberschlesien und im Ruhrgebiet zu Straßenkämpfen – an anderen Orten sogar zu Generalstreiks.

Als drei Monate später, am 2. Mai 1933, SA-Truppen überall in Deutschland die Gewerkschaftshäuser stürmen, das Vermögen beschlagnahmen und die Funktionäre verhaften, bleibt der Widerstand aus. Kampflos wird die Arbeiterbewegung niedergerungen. In der Folgezeit werden Tarifverträge in Tarifordnungen überführt, die ohne Möglichkeit zum Widerspruch verkündet werden. Die Löhne sinken. Die Arbeitszeiten steigen auf bis zu 70 Stunden pro Woche.

Kapitulation vor den Nazis

Die Kapitulation der Gewerkschaften ausgerechnet vor einem System, das den Unternehmern den Weg zur ungestörten Profitmaximierung ebnete und die Klasse in einem Zustand der erzwungenen Zersplitterung hielt, gehört zu den größten Tragödien im kollektiven Gedächtnis der deutschen Arbeiterbewegung. Anstatt den Kampf gegen den Faschismus als Klassenauseinandersetzung zu führen, signalisierte der Vorstand des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) Anpassungsbereitschaft bis an den Rand der Selbstaufgabe und führte sogar mit Vertretern der Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation (NSBO) Gespräche über die Einheitsgewerkschaft.

Kein Ereignis markiert diese Unterwerfung so sehr wie der 1. Mai. Nachdem die faschistische Regierung den Tag zum gesetzlichen Feiertag erklärt hatte, rief der ADGB seine Mitglieder zur Teilnahme am „Tag der nationalen Arbeit“ auf, ohne dabei bemerken zu wollen, dass die Nazis den Tag vollständig in ihrem Sinne uminterpretiert hatten. Sie arrangierten ihn als Auftakt zur Zerschlagung der Gewerkschaften und machten daraus ein propagandistisches Großereignis. An den Gewerkschaftshäusern wurden schwarz-rotweiße Flaggen aufgezogen. Gleichzeitig bereitete die Propaganda von der Volksgemeinschaft, in der alle Klassenwidersprüche durch die Erhebung des Volkes über Klassen, Stände und Einzelinteressen harmonisiert worden seien, die Zerschlagung der Gewerkschaften als überflüssige Klassenorganisationen argumentativ vor.

Mehr als eine Fehleinschätzung

Diese Unterwerfungsstrategie war allerdings mehr als die Folge einer kurzsichtigen Fehleinschätzung. Spätestens mit Beginn des 19. Jahrhunderts sahen die Gewerkschaften im Interesse der internationalen Wettbewerbsfähigkeit ihre Rolle zunehmend als Hüterin der Gesamtwirtschaft. Bereits 1914 hatten sie die Einstellung aller Arbeitskämpfe für die Dauer des Krieges beschlossen. In den 1920er Jahren folgten tarifierte Arbeitszeitverlängerungen. 

Diese Praxis war das Ergebnis einer gewerkschaftlichen Debatte, in der die Führung des ADGB davon ausging, dass es jenseits aller Interessengegensätze zwischen Lohnabhängigen und Unternehmern wirtschaftliche Gesamtinteressen gäbe und die Interessen der Lohnabhängigen diesen untergeordnet werden müssten. Die Folge war die Ausrichtung der Gewerkschaften nicht mehr als Kampforganisation, sondern als partnerschaftlich orientierter wirtschaftlicher Interessenverband. In dieser Logik bekommt die Unterwerfungsstrategie des ADGB eine Folgerichtigkeit.

Falsche Klassenpolitik

Es ist wichtig zu verstehen, dass diese Entwicklung nicht zwangsläufig war. Sie lässt sich vielmehr aus dem widersprüchlichen Charakter erklären, der den Gewerkschaften eingeschrieben ist: Das permanente Bestreben der Unternehmer, den Lohn auf ein physisches Existenzminimum zu drücken und den Arbeitstag auf ein physisches Maximum auszudehnen, erfordert starke Klassenorganisationen. Die Frage, ob eine Lösung innerhalb des kapitalistischen Lohnsystems oder nur durch seine Überwindung erfolgen kann, war in der Arbeiterbewegung immer eine Kontroverse. Sie brach mit Beginn der Wirtschaftskrise 1929 erneut auf. Die Führung des ADGB lehnte Streikkämpfe ab. Gleichzeitig stärkten Lohnsenkungen und Massenentlassungen den Einfluss derer, die Abwehrkämpfe führen wollten. Die ADGB-Spitze reagierte mit Massenausschlüssen, provozierte die Gründung einer „Revolutionären Gewerkschaftsopposition“ (RGO) und zementierte damit die Spaltung. Diese Spaltung und vor allem die falsche Klassenpolitik der Führung verhinderten, dass am Vorabend des 2. Mai die Arbeiterbewegung den Kampf gegen den Faschismus als Klassenorganisation führte.

Ulrike Eifler ist Bundessprecherin der BAG Betrieb & Gewerkschaft

Dieser Artikel entstammt unserer Zeitung: E-Paper zum 1. Mai 2021

Besetzung des Berliner Gewerkschaftshauses der Freien Gewerkschaften am 2. Mai 1933 durch die Sturmabteilung (SA), (c) DEUTSCHES HISTORISCHES MUSEUM