Wofür streiten im Gesundheitswesen?

11. September 2020  BLOG, PUBLIKATIONEN

Von Kalle Kunkel

Die Kämpfe um die Welt nach der ersten Corona-Welle sind bereits in vollem Gange. Für Deutschland wurden nach den zahlreichen unmit­telbaren „Rettungsmaßnahmen“ mit dem Koalitionsbeschluss zur Kon­junkturankurbelung zentrale Weichen gestellt.

Die Rede von der „Welt nach Corona“ ist richtig und falsch zugleicht. Falsch, wenn der Eindruck erweckt wird, dass die Corona-Krise grundsätz­lich etwas an den politischen Forderungen geändert hat. Richtig, weil die Krise durchaus für institutionelle Verschiebungen und Veränderungen in den Legitimationsbezügen gesorgt hat. Die folgenden Forderungen waren dementsprechend vor Corona genauso richtig wie danach. Es soll jedoch im Folgenden darum gehen, an welchen Stellen sich die Bedingungen zu deren Durchsetzung möglicherweise verbessert haben:

1. Bedarfsorientierung der Krankenhausversorgung

Der Kern der neoliberalen Gesundheitsreformen bestand darin, Gesund­heitsleistungen als bezahlbare Dienstleistungen zu etablieren. Zugespitzt im DRG-System zur Krankenhausfinanzierung: die Krankenhäuser bekom­men fast nur Geld für konkret behandelte Patientinnen und Patienten. In der Corona-Krise ist deutlich geworden, dass Krankenhäuser jedoch eine Infrastruktur sind die nicht einfach pro „Fall“ finanziert werden kann. Die Analogie zur Feuerwehr hat es inzwischen bis in die Comedy-Sendungen geschafft. Institutionell hat sich dies in der Krise durch die Einführung eine Vorhaltepauschale für leere Betten niedergeschlagen um auf Covid-19-Pa­tinetInnen vorbereitet zu sein. Zugleich ist das DRG-System selbst delegi­timiert. Aus Berlin gibt es die Ankündigung, eine Bundesratsinitiative zu deren Abschaffung zu starten. Diesen Konflikt zuzuspitzen, hat hohe stra­tegische Bedeutung. Die LINKE muss diese Auseinandersetzungen auch aus den Ländern, in denen sie mitregiert, forcieren.

2. Die Rückkehr der Planung

Durch die Krise ist ebenfalls deutlich geworden, dass Gesundheitsversor­gung auf eine gesellschaftlich ausgehandelte politische Planung angewie­sen ist. Die Länder haben sich zum Teil in entsprechenden Gesetzen zum Durchgriff auf die Krankenhäuser ermächtigt. Daraus muss eine Initiative zu einer echten politischen Bedarfsplanung auf Länderebene entwickelt werden. Die Bundesländer müssen ihr Planungsrecht in der Krankenhaus­versorgung offensiv nutzen und nicht einfach nur die Urteile des Marktes durch Abwicklung defizitärer Krankenhäuser nachvollziehen. Dafür müs­sen die Länder jedoch auch ihre Pflicht bei der Finanzierung der Investiti­onen erfüllen. Im Konjunkturpaket findet man zu der gesellschaftlichen Dauerbaustelle Investitionsstau in den Krankenhäusern nichts. Absurd an­gesichts der Aufmerksamkeit, die die Krankenhäuser in den letzten Mona­ten hatten.

3. Finanzierung der Sozialsysteme

Die Sozialversicherungssysteme stehen unter einem dauerhaften finanziel­len Druck. Ein wichtiger Grund hierfür: hohe Einkommen werden durch Beitragsbemessungsgrenze und Privatversicherungen aus der Verantwor­tung genommen. Eine anteilig gleiche Einbeziehung höherer Einkommen, birgt ein Umverteilungspotential, das in seiner Wirkung je nach Konzept dem einer Vermögenssteuer entspricht. Die Corona-Krise verschärft den finanziellen Druck für das Sozialversicherungssystem durch zusätzliche Ausgaben und Wegfall von Einnahmen. Die große Koalition hat sich hier eine Verschnaufpause verschafft, die mit Steuergeldern die Probleme tem­porär verschiebt. 5,3 Milliarden Euro sind für Ausgleichszahlungen an die Sozialversicherung vorgesehen. Ob das kurzfristig ausreicht wird sich zei­gen. Es löst in jedem Fall nicht die grundsätzlichen Probleme. Da aber ak­tuell auf der Ausgabenseite kaum – wie in den letzten Jahrzehnten – mit einer nicht zu rechtfertigen Kostenexplosion argumentiert werden kann, wird es nicht so einfach hier Kürzungen durchzusetzen. Damit nimmt auch hier der Problemdruck hin zu einer solidarischeren – also umverteilenden – Lösung zu.

Corona hat in jedem Fall viele politische Prozesse in Fluss gebracht. Ob zum Guten oder zum Schlechten wird sich in den anstehenden Kämpfen entscheiden.

Kalle Kunkel ist Gewerkschaftssekretär und aktiv in der Kampagne „Krankenhaus statt Fabrik

Dieser Artikel entstammt der aktuellen Ausgabe unserer Zeitung